…dann würden die Menschen meine Schmerzen vielleicht wahrnehmen.
Teil 2
Ich habe Schmerzen. Jeden Tag. Sie sind chronisch. Immer da. Ich habe mich daran gewöhnt, ich habe gelernt damit umzugehen. Mal sind sie stärker, mal sind sie schwächer. Da sind sie immer.
Warum ich meine Schmerzen nicht zeige? Das tue ich ja. Es wird nur nicht wahrgenommen, was ich zeige oder es wird falsch interpretiert. Ich kann ja nicht schreien. Ich habe keinen Laut für
Schmerzen. Also kann ich mein Unwohlsein nur schwer zeigen.
Ich bin den Menschen gar nicht böse. Sie wissen es oft nicht besser. Woher auch? Sie haben ja die Möglichkeit sich zu äußern, wenn ihnen etwas weh tut.
Manchmal bin ich neidisch auf den Hund im Raum nebenan, sein Raum wird Zwinger genannt. Er kann bellen und knurren, wenn er mal wieder Stunden im Zwinger verbringen muss. Dann bellt und bellt und
bellt er einfach stundenlang. Bis es den Menschen zu nervig wird und sie ihn wieder rauslassen.
Wir Pferde stehen in den Räumen nebenan und wünschten wir könnten auch bellen oder schreien oder was auch immer, damit man uns endlich raus holt. Menschen nennen den Raum in dem wir stehen Box.
Dieser ist quadratisch, besteht aus einer Wand nach hinten und Gittern zu den anderen, so wie nach vorne. Vor ein paar Tagen war ein kleiner, junger Mensch bei uns und fragte den anderen Menschen
der bei ihm war, warum wir denn im Gefängnis seien. Was wir denn Schlimmes verbrochen hätten. Der ältere Mensch antwortete: „Das ist doch kein Gefängnis. Davon hast du noch keine Ahnung. Dafür
bist du zu jung. Das macht man so.“ Die Antwort habe ich nicht verstanden. Und der kleine junge Mensch glaube ich auch nicht. Denn dieser wirkte danach ganz traurig.
Dieses stundenlange Herumstehen macht meine Schmerzen nur noch schlimmer. Ich werde steif, meine Muskeln verspannen sich, meine Gelenke tun so weh... Ich kann mich nur im Kreis drehen, ein
bisschen vor, ein bisschen zurück und wieder im Kreis. Wie neidisch ich auf den Hund bin. Der kann sich äußern, dass er den Zwinger nicht mag. Ich mag meine Box nicht. Viel lieber wäre ich
draußen, den ganzen Tag. Eingesperrt sein ist furchtbar für uns. Wir können nicht fliehen, wenn wir Angst haben, also müssen wir die Angst aushalten lernen. Das ist nicht einfach für uns. Dann
rennen wir aufgeregt in der Box herum. Das stresst uns sehr…
Wir können auch nicht weit gucken. Nur bis vor die nächste Wand. Dabei schaue ich so gerne in die Ferne, denn dann kann ich schon vom weiten erkennen, ob mir eine Gefahr droht oder nicht. Dann
spitze ich meine Ohren, hebe meinen Kopf und kann ganz weit schauen. Erkenne ich, dass keine Gefahr droht, kann ich entspannt weiter (fr)essen. In der Box geht das nicht. Wir hören oft komische
Geräusche, die wir nicht zuordnen können. Ständig laufen Menschen an den Boxen vorbei. Es wird gelacht, manchmal auch gekreischt. Wir kommen tagsüber kaum zur Ruhe. Daher schlafen wir nur
nachts.
Unsere Menschen sprechen von artgerechter Haltung für uns. Das habe ich schon oft gehört. Was sie damit genau meinen weiß ich nicht. Aber sie sagen, dass sie froh sind, dass wir 6 Stunden am Tag
nach draußen dürfen. Das sei artgerecht. Außerdem haben wir große Boxen. Das betonen sie oft. Die seien immerhin 4 x 4 m groß. Was daran groß ist, weiß ich nicht. Es fühlt sich so eng an…
Im Sommer dürfen wir auf die Wiese, da ist ganz viel Gras, aber sonst nichts und im Winter auf den Paddock. Paddock so nennen die Menschen den kleinen eingezäunten Platz wo Sand drauf ist. Dort
ist es langweilig. Wir bekommen nichts zu essen und dann tut auch noch mein Magen so fürchterlich weh, weil ich so unendlichen Hunger habe… Dann (fr)esse ich halt Sand. Was anderes gibt es ja
nicht. Wir stehen nur herum oder wir ärgern uns gegenseitig, damit wir uns nicht zu sehr langweilen. Es ist so eng auf dem Paddock. Wir können uns kaum aus dem Weg gehen. Dabei mag ich nicht alle
so gerne mit denen ich dort zusammen stehe. Auf der Wiese geht das viel besser, da ist viel mehr Platz. Da kann ich denen, die ich nicht so gerne mag, viel besser aus dem Weg gehen.
Aber nun zu meiner eigentlichen Geschichte:
Mein Mensch sagt ich bin 12 Jahre alt und sie hätte mich gerettet. Ohne sie wäre ich schon seit Jahren tot. Weil ich einen Unfall hatte und mich schwer verletzt habe, sollte ich getötet werden.
Aber mein Mensch hat mich gerettet. Was retten genau bedeutet weiß ich nicht.
Vor meinem Unfall hat mein vorheriger Mensch mich auf Turnieren geritten. Auf Turnieren messen Menschen scheinbar wer der Bessere ist. Da musste ich über so komische Dinge springen, sie nennen es
Sprünge. Da liegen Stangen übereinander. Und wenn ich keine Stange abgeworfen habe, war mein Mensch sehr stolz und hat mich ziemlich fest am Hals
geklopft. Warum er mich nicht sanft gestreichelt hat, weiß ich nicht. Das hätte ich als viel angenehmer empfunden. Im Anschluss wurde mir eine Schleife an die Trense gemacht. Die Trense ist so
ein komisches Ding, sie sitzt ganz fest auf meinen Kopf und in meinem Maul ist ein Metallding, daran befestigt sind Seile, an denen der Mensch ziehen kann. Die Trense drückt ziemlich doll. Ich
kann kaum kauen damit. Aber wenn ich eine Schleife bekommen habe, war mein Mensch sehr stolz und hat vor anderen Menschen gesagt, wie erfolgreich er doch sei. Was für ein toller Reiter er sei.
Und ich sei mittlerweile ganz viel Wert, weil ich schon so viele Turniere gewonnen habe. Warum geht es den Menschen nur so oft um Erfolg und Anerkennung?
Und dann ist es passiert. Ich bin gestürzt mitten in einen Sprung hinein. Dabei habe mir das Becken gebrochen und hatte starke Abschürfungen auf der Haut. Das war schlimm… ich hatte so unendliche
Schmerzen. Laufen konnte ich kaum. Es war furchtbar. Mein Mensch hat damals viel geweint und der Tierarzt hat mir keine Chance gegeben. Tierärzte sind Menschen die ganz viel Ahnung von
Krankheiten haben.
Also sollte ich erlöst werden. Erlöst von meinen Schmerzen. Und so wurde ich zu einem anderen Menschen gefahren, der nannte sich Schlachter. Mein Mensch hat für mich noch den Schlachtpreis
bekommen. Was das wieder bedeutet was ich nun wirklich nicht…
Also stand ich bei dem Menschen der Schlachter hieß in einer dunklen und ganz engen Box. Da waren noch andere Pferde. Wir hatten alle fürchterliche Angst. Wir haben oft gewiehert und uns damit
gegenseitig zugerufen. Wir konnten uns ja nicht sehen.
Und dann kam plötzlich mein neuer Mensch. Sie habe gehört, dass hier Pferde seien, die getötet werden sollen. Das tat ihr so leid, also kaufte sie mich und nahm mich mit. Das war vor einigen
Jahren.
Sie stellte mich in einen anderen Stall und es kamen oft Tierärzte, diese stachen mir mit komischen Dingen in die Haut. Spritzen haben sie dazu gesagt. Und ich wurde oft untersucht. Immer wieder.
Irgendwann wurde ich böse und trat nach den Menschen, weil es oft so weh tat und mir so unangenehm war. Mir tat alles weh. Die Hüfte, die Verletzungen brannten höllisch. Dann bekam ich manchmal
eine andere Spritze. Danach war ich oft müde und mir war ganz komisch im Kopf. Die Schmerzen waren dann dumpfer, aber ich konnte mich nicht so gut bewegen. Als ob mein Körper nicht mehr gehorchen
wollte. Das hat mir unendlich Angst gemacht. Aber was sollte ich tun…?
Die anderen Menschen sagen meinem Menschen oft, ich sei sehr dominant und ich müsse lernen mich unterzuordnen. Die Rangordnung müsse geklärt werden. Mein Mensch müsse mir zeigen, dass sie der
Herdenchef sei. Ansonsten würde ich gefährlich werden. Das verstehe ich alles nicht. Ich habe doch nur Angst und ich vertraue den Menschen einfach noch nicht. Ich kenne sie doch noch gar nicht
lange genug um ihr wirklich vertrauen zu können. Und fremden Menschen schon gar nicht. Sie tun mir ständig weh. Wie soll ich da vertrauen können? Und warum verstehen die Menschen das nicht? Warum
sehen sie nicht, wie unangenehm mir das alles ist? Ich versuche es ja zu zeigen…
Es dauerte viele Monate bis es mir besser ging. Während dieser Zeit stand ich nur in der Box. Da durfte ich gar nicht mehr raus. Ich sollte mich schonen, sagten die Tierärzte. Dabei waren die
Schmerzen im Stehen viel Schlimmer. Die Schmerzen waren manchmal kaum auszuhalten. Und dann kam endlich der Tag, ich durfte wieder raus! Endlich! Es waren nur wenige Minuten die ich raus durfte.
Was war das für eine Wohltat! Endlich bewegen. Die Bewegung und die frische Luft taten mir so gut. Endlich geradeaus gehen und nicht mehr auf diesem engen Raum hin und her drehen. Bis ich wieder
länger nach draußen durfte dauerte es jedoch noch sehr lange. Meine komplette Genesung hat fast ein Jahr gedauert sagte mein Mensch.
Dann kam ich einen anderen Stall, weil der Stallbetreiber, so nannte mein Mensch ihn, so unhöflich sei und überhaupt das Heu eine Katastrophe. Dabei hatte ich endlich Freunde gefunden, weil ich
ja endlich wieder nach draußen durfte.
Also hieß es Abschied nehmen. Abschied von meinen Freunden. Das war schon schlimm für mich. Sie gaben mir Sicherheit.
Der neue Stall war ganz anders. Da durfte ich den ganzen Tag nach draußen. Offenstall nannte mein Mensch dies. Das sei ganz toll für mich. Den ganzen Tag draußen sein war super! Ich konnte den
ganzen Tag mit anderen Pferden zusammen sein. Manche mochte ich sehr, andere nicht so sehr. Beim (Fr)Essen mussten wir alle ganz nah zusammenstehen. Das mochte ich gar nicht. Ich mag es nicht,
wenn mir einer beim (Fr)Essen so nah kommt. Daher habe ich manchmal gebissen und so den anderen gesagt sie sollen weg gehen. Sind die aber nicht.
Sie hatten ja auch Hunger. Beim (Fr)Essen war es sehr eng. Zu Zehnt standen wir zusammen ums Heu. Da gab es schon oft Ärger untereinander und wir konnten uns kaum aus dem Weg gehen. Überall waren
Zäune. So nennen Menschen die Dinger, damit wir nicht weglaufen können.
Mein Mensch hat manchmal mit mir geschimpft. Ich solle nicht immer so ungerecht zu den anderen sein. Ich sollte nicht immer beißen. Aber wie sollte ich mich denn sonst äußern? Warum haben die
Menschen nicht einfach mehr Platz geschaffen für uns, damit wir uns beim (Fr)Essen besser aus dem Weg gehen können. Wir mögen es nicht gerne, wenn wir dabei so eng zusammen stehen müssen. Beim
Schlafen oder Ruhen schon, dann rücken wir ganz nah zusammen mit unseren besten Freunden. Aber beim (Fr)Essen haben wir gerne Platz. Wäre das nicht so eng gewesen, hätte ich ja nicht beißen
müssen… Menschen sind manchmal komisch…
Nach einigen Monaten wurde ich wieder in einen anderen Stall gestellt. Ich sei nicht für den Offenstall geeignet sagte mein Mensch. Ich sei zu unruhig und würde zu viel andere Pferde beißen. Und
außerdem sei ich immer so gestresst.
Also wieder neue Freunde finden. Wieder woanders hin. Es ist alles neu und am Anfang war es wirklich schwer für mich nicht mehr den ganzen Tag draußen zu sein. In die Ferne sehen zu können.
Jederzeit mit meinem besten Freund das Fell kraulen. Er konnte das richtig gut. Wenn es gejuckt hat, konnte ich ihn jederzeit fragen, ob er mich kratzt. Ich vermisse ihn sehr.
Nun bin ich also hier. In diesem Stall und stehe stundenlang in der Box. Wenn es mich juckt ist da keiner der kratzen kann. Also muss ich mir selber helfen. Manchmal kratze ich mir vor lauter
Langeweile stundenlang selber meinen Hals an den Gittern meiner Box, bis die Haut blutig ist.
Mein Mensch lässt mich nicht mehr über so komische Dinge springen. Das sei vorbei sagt sie oft. Das müsse ich nie wieder tun. Ich bin froh darüber.
Sie fährt manchmal mit mir zu ganz berühmten Trainern. So nennt sie die Menschen, die dann in der Reitbahn stehen und uns Anweisungen geben. Die haben schon erfolgreich ganz viele Pferde
ausgebildet.
Jetzt muss ich nicht mehr über Dinge springen, jetzt würde ich ganz pferdegerecht trainiert. Nun muss ich piaffieren und steigen und so andere Sachen machen. Ganz viel Seitengänge gehen. So
nennen die Menschen das. Und ganz viele ganz kleine Kreise. Mein Kopf muss ich dabei ganz hoch nehmen. Damit ich mich auf meine Hinterhand setzen kann und meinen Rücken aufwölbe. Denn schließlich
müsste meine Hinterhand ja gestärkt werden nach dem schweren Unfall. Ehrlich gesagt verstehe ich nur noch Bahnhof.
Zwischendurch darf ich kurz entspannen und den Hals lang machen. Gott sei Dank. Meinen Kopf so hoch zu halten fällt mir sehr schwer. Das schaffe ich nur, in dem ich meine Muskeln am Hals ganz
doll anspanne und den Rücken ganz fest mache. Meine Muskeln tun oft weh dabei. Dann versuche ich den Kopf runter zu nehmen, weil es so anstrengend ist. Das geht aber nicht, weil mein Mensch mit
den Seilen meinen Kopf wieder nach oben zieht. Dann verkrampfe ich mich und schlage mit dem Schweif. Vielleicht merkt mein Mensch oder der berühmte Trainer dann, dass es mir sehr unangenehm ist.
Es sieht aber keiner. Es heißt ich hätte mir das Schweifschlagen nie abgewöhnt. Das käme davon, dass ich früher so falsch trainiert wurde.
Warum darf ich meinen schweren Kopf und den langen Hals nicht einfach als Balancierstange nutzen, so wie ich es auf der Wiese auch tue? Dann täte meine Muskulatur vom ewigen hoch halten auch
nicht so weh.
Die Seitengänge fallen mir auch sehr schwer. Mein Becken und die Beine tun dann manchmal weh. Daher schummele ich ganz viel. Dann schiebe ich einfach meine Hinterhand mal ein bisschen hier und
mal ein bisschen da hin. Dann geht es besser. Auch in der Piaffe schummele ich einfach. Dann hopse ich einfach ein bisschen und helfe mir mit dem Kopf. Das scheint auch keiner zu merken. Was soll
ich nur machen, damit die Menschen es merken? Ich fühle mich manchmal wirklich überfordert. Manche Dinge verstehe ich einfach nicht. Man erklärt mir die Übungen nicht richtig. Man lässt mir nicht
so viel Zeit es zu verstehen. Dann werde ich manchmal richtig wütend und kaue ganz aufgeregt auf dem Gebiss herum. Und ständig kommen neue Übungen dazu. Und wenn ich es falsch mache, dann muss
ich es immer wieder wiederholen. Was das alles für einen Nutzen für mich hat, verstehe ich nicht… Warum muss ich immer perfekt sein?
Ich darf nur ganz selten geradeaus gehen, wenn wir trainieren. Sonst würde ich noch schiefer werden sagen die Menschen. Ich sei durch den Unfall so schief. Man müsse mich gerade richten. Also
wirklich. Menschen sind schon manchmal lustig. Gerade richten. Warum darf ich nicht einfach geradeaus gehen? Das ist doch gerade oder nicht? Geradeaus kann ich mich ganz gut ausbalancieren. Dann
schaffe ich es für einige Zeit meinen Menschen zu tragen. Übrigens: Ich mag es am liebsten im Gelände! Dann fällt es mir am leichtesten. Dann kann ich auch mal ein wenig schneller laufen und uns
weht der Wind um die Nase. Dann fühlt sich alles so leicht und unbeschwert an. Geradeaus ist viel natürlicher für mich. Auf der Wiese laufe ich doch auch geradeaus.
Besonders rechts herum fällt es mir schwer mich zu balancieren. Ich müsse lernen mich links aufzudehnen. Daher wären die vielen Seitengänge so wichtig und die kleinen Kreise. Ich wäre links hohl. Menschen nutzen wirklich witzige Ausdrücke.
Auf den kleinen Kreisen komme ich ganz schön aus der Balance. Dann muss ich mit meiner Hinterhand ausgleichen oder ich nehme meine Schultern als Stütze. Sonst falle ich noch um. Warum sieht keiner wie sehr ich in den kleinen Wendungen aus der Balance komme? Warum hilft man mir nicht die kleinen Kreise besser zu balancieren. Warum gibt man mir nicht die Chance zunächst einmal geradeaus meine Balance zu finden?
Ich müsse viel versammelt gearbeitet werden und ganz viel Krafttraining machen. Damit meine Muskeln stärker werden. Ich müsse mich mehr setzen und ich darf auf keinen Fall auf der Vorhand laufen.
Das wäre nicht gut für mich. Daher seien die ganzen Übungen so wichtig betont der berühmte Trainer immer wieder. Ich finde es langweilig immer wieder das Selbe zu machen.
Mittlerweile tut mir nicht nur die Hüfte weh. Auch meine Schultern tun manchmal weh. Und die vielen kleinen Kreise und Seitengänge belasten meine Sehnen, Bänder und Gelenke sehr. Dadurch, dass
mir die Hüfte weh tut, habe ich mir angewöhnt mich anders zu bewegen. Auch während des Trainings. Nach dem Training habe ich oft Schmerzen. Manchmal habe ich tagelang Muskelkater. Mein Becken ist
dann ganz schlimm. Aber ich habe gelernt mit den Schmerzen umzugehen.
Mein Mensch freut sich so sehr darüber, dass ich so toll piaffieren kann und all diese schweren Übungen. Und das obwohl ich einen so schweren Unfall hatte. Das würde ja zeigen, dass ich keine
Schmerzen hätte, sonst könnte ich das alles ja nicht und wäre nicht mit so viel Eifer dabei. Dabei zeige ich ihr doch immer wieder, dass es mir weh tut… aber ich kann halt nicht schreien. Darum
hört es wohl keiner…
Trotzdem freue ich mich, wenn sie stolz ist. Das ist gut. Dann bemühe ich mich noch mehr! Ich möchte, dass sie stolz ist. Ich möchte, dass sie mich mag.
Mir sind die Übungen und das Training gar nicht wichtig. Ich bin viel lieber einfach so mit ihr zusammen. Gehe mit ihr spazieren und verbringe Zeit mit ihr. An manchen Tagen schaut sie mir beim
Grasen zu. Das mag ich am liebsten. Dann habe ich das Gefühl, dass sie Teil unserer Gemeinschaft ist. Das fühlt sich gut an.
Zwischendurch mal ein bisschen angeben und Piaffe zeigen, finde ich ja toll. So ein paar Schritte vielleicht. Oder auch ein wenig Seitengänge. Mal ganz kurz. Aber ich muss es so oft und so lange
machen und es immer und immer wieder wiederholen. Dann schummele ich halt wieder, wenn ich keine Kraft mehr habe. Das merkt kaum einer. Wenn es mir dann viel zu viel wird, schlage ich halt aus.
Na und? Was soll ich denn sonst machen?
Ich bin ihr nicht böse. Sie weiß es nicht besser und sie vertraut anderen Menschen die ihr etwas sagen. Vor allem wenn es berühmte Menschen sind, was berühmt eigentlich bedeutet weiß ich auch
nicht. Aber auch andere Menschen am Stall sagen oder kritisieren sie ständig. Die üben manchmal ganz viel Druck auf sie aus. Dann ist sie sehr traurig und unsicher. Das macht ihr sehr viel
Stress. Das spüre ich sofort.
Manchmal flüstert sie mir ins Ohr, dass sie unsicher ist und nicht weiß, ob das alles so richtig ist. Dann puste ich ihr ins Ohr zurück. Damit sie weiß, dass sie ihrem Bauch vertrauen soll. Ihrem
Herzen. Manchmal erzählt sie mir, dass sie sich als Kind einfach nur gewünscht habe mit ihrem Pferd auf der Wiese zu spielen. Den Wind einzufangen, die Sonne auf der Haut zu spüren. Die Nähe
ihres Pferdes zu spüren, das leise Kauen, das zufriedene Schnauben zu hören.
Dann denke ich manchmal, warum macht sie das nicht einfach öfter? Sich zu uns Pferden auf die Wiese setzen. Warum ist es Menschen so wichtig, dass wir solche Übungen zusammen machen? Das verstehe
ich nicht.
Warum sehen die Menschen uns nicht als das was wir sind?
Als Herdentiere, die am liebsten mit ihren Freunden in der Natur sind. Draußen. Gras (fr)essen, an den Bäumen und Sträuchern knabbern lassen. Unser (Fr)Essen suchen. Den ganzen Tag lang. Mal
schlafen, mal spielen mit den anderen, sich gegenseitig kratzen. Zusammen sein. Vertrauen, dass immer einer aufpasst. Ganz viel Platz haben. Ständig in Bewegung. Das gefällt uns am besten.
Auf unserer Wiese ist nur kurzes Gras. Wir haben keine Bäume, keine Sträucher die wir (fr)essen können oder die uns als Schatten oder Windschutz dienen.
Es kommen ständig neue Pferde und andere gehen wieder. Wir sind keine echte Gemeinschaft. Menschen nennen die Gemeinschaft Herde. Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass die anderen aufpassen,
wenn ich müde bin und eigentlich gerne schlafen würde.
Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Menschen eines Tages mehr über uns Pferde und unser natürliches Verhalten und unseren natürlichen Bewegungsablauf lernen. Ich weiß, dass mein Mensch
ein guter Mensch ist und sie eigentlich keine Fehler machen möchte. Sie und die anderen Menschen meinen es eigentlich gut mit mir. Das weiß ich.
Wenn die Menschen mehr Zeit mit uns in unserem natürlichen Lebensraum verbringen würden, dann würden sie vielleicht schneller lernen. Beispielsweise wie wir Pferde miteinander kommunizieren. Dann
wüssten sie doch auch wie sie mit uns ganz natürlich kommunizieren können und müssten nicht ständig von Dominanz sprechen. Dabei ist uns gegenseitiges Vertrauen viel wichtiger als Dominanz. Jeder
in unserer Gemeinschaft hat normalerweise eine feste Aufgabe und jeder darf jedem sagen, was er mag und was nicht.
Stattdessen steht für Menschen oft das Reiten oder anderes Training im Vordergrund. Das finde ich wirklich schade.
Ich bemühe mich weiter. So lange es noch geht. Wie lange ich das noch aushalte, weiß ich nicht.
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Max (Donnerstag, 11 August 2022 20:11)
Was für ein toller einfühlsamer Text. Hat mich sehr zum Nachdenken angeregt.
Danke für das Teilen der Gedanken deines Pferdes, bzw. das Teilen der Gedanken eurer Symbiose.